Schuldenkrise: Grundlagen

Schuldenkrise: Grundlagen
Schuldenkrise: Grundlagen
 
Als Schuldenkrise wird eine Situation bezeichnet, in der ein souveräner Staat den Zins- und Tilgungsverpflichtungen seiner Auslandsschulden nicht mehr vertragsgemäß nachkommt. Der Totalausfall oder zumindest eine verspätete Bedienung von Bank- oder Anleiheverbindlichkeiten durch Staaten ist in der Geschichte immer wieder vorgekommen. Spektakuläre Schuldenkrisen der jüngeren Wirtschaftsgeschichte betreffen die 1982 in Mexiko zu Tage getretene lateinamerikanische Schuldenkrise oder die russische Schuldenkrise 1998.
 
 Auslandsverschuldung kann Entwicklung beschleunigen
 
Ausgangspunkt der ökonomischen Beurteilung ist die Einsicht, dass gerade für Entwicklungs- und Schwellenländer eine gewisse Auslandsverschuldung hilfreich sein kann. Die Bevölkerung in ärmeren Staaten hat nur wenig Spielraum, das für die Modernisierung notwendige Kapital durch eigene Ersparnis aufzubringen. Daher kann der Import von Auslandskapital nützlich sein, den Entwicklungsprozess eines Landes zu beschleunigen. Ausländische Investoren haben ihrerseits einen Vorteil, Kapital in einem Entwicklungsland zu investieren. In der Regel können sie bei der Kreditvergabe an ein Schwellenland einen höheren Zins als gegenüber einem Industrieland erzielen. Dieser Zinsaufschlag für eine geringere Bonität heißt Risikoprämie.
 
 Interne und externe Ursachen für Schuldenkrisen
 
Eine Schuldenkrise kann durch Fehlentwicklungen in den Schuldnerländern verursacht werden. Wenn das zufließende Kapital überwiegend für den Konsum verwendet wird, bleibt für wachstumsfördernde Investitionen nicht mehr genügend Spielraum. Ohne diese können aber nicht die zusätzlichen Erträge erwirtschaftet werden, aus denen die Auslandskredite verzinst und getilgt werden können. Eine Schuldenkrise kann auch durch äußere Faktoren ausgelöst werden. Der Ausbruch der lateinamerikanischen Schuldenkrise 1982 etwa wird durch den starken Anstieg des US-Zinsniveaus und eine deutliche Aufwertung des US-Dollars erklärt. Gleichzeitig verfielen die Rohstoffpreise. Dies bewirkte, dass der Schuldendienst (Zins und Tilgung auf die ausstehende Auslandsverschuldung) der Schwellenländer deutlich zunahm und gleichzeitig die Einnahmen aus Rohstoffverkäufen sanken. Wegen der sich so drastisch verschlechternden Relation zwischen Einnahmen und Schuldendienst waren in dieser Situation die Kreditgeber nicht mehr bereit, fällig werdende Kredite durch Anschlusskredite zu refinanzieren. Die Folge war die Zahlungsunfähigkeit der betreffenden Staaten.
 
Diesen internen und externen Faktoren einer Schuldenkrise ist gemeinsam, dass sie mit der Insolvenz einer Volkswirtschaft einhergehen. Als Insolvenz bezeichnet man eine Situation, in der auch die erst in weiterer Zukunft verfügbaren Einnahmequellen einer Volkswirtschaft nicht ausreichen, die Verschuldung zu bedienen.
 
 Sich selbst erfüllende Prophezeiungen
 
Eine Schuldenkrise kann aber auch eintreten, wenn ein Staat zwar solvent ist, aber illiquide wird. Illiquidität meint einen Zustand, in der ein Schuldner nicht über ausreichende Barmittel für den kurzfristigen Schuldendienst verfügt. Die Illiquidität eines solventen Schuldners muss kein Widerspruch sein: Ein einzelner Kreditgeber wird einem solventen Schuldner nur dann Überbrückungskredit geben, wenn er davon ausgehen kann, dass dieser Schuldner von den Kreditgebern weltweit ebenfalls Kredit erhält. Hat er daran jedoch Zweifel, dann wird auch er den Kredit aus Angst vor einem Verlust verweigern. Aus Sicht der einzelnen Kreditgeber kann die Kreditverweigerung einem solventen Land gegenüber rational sein. Es ist also denkbar, dass ein Land trotz einer guten Langfristperspektive keinen Kredit mehr erhält. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der sich selbst erfüllenden Prophezeiung (Self-fulfilling Prophecy): Allein die Vorhersage, ein Land werde in eine Schuldenkrise geraten, kann die Krise auslösen. Wenn die Kreditgeber diese Vorhersage nämlich ernst nehmen, erneuern sie fällig werdende Kredite nicht mehr mit der Folge, dass das Land tatsächlich illiquide wird.
 
 Vorkehrungen gegen Schuldenkrisen
 
Wirtschaftspolitische Strategien zur Verhinderung von Schuldenkrisen stehen vor einer zentralen Schwierigkeit. Um sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu verhindern, wäre die Absicherung der Schuldnerländer etwa durch Garantien internationaler Organisationen wie Weltbank oder IWF wünschenswert. Der Nachteil derartiger Garantien liegt jedoch darin, dass sie Fehlanreize auslösen und den Druck auf eine investive Mittelverwendung der Auslandskredite in den Entwicklungsländern verringern. Außerdem würden Investoren mit einer solchen Garantie zu einer leichtsinnigen Kreditvergabe ohne ausreichende Risikoanalyse verleitet (Moral-Hazard-Problem).

Universal-Lexikon. 2012.

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